WUNDER DER BEGEGNUNG. Was eine Ausstellung alles bewegen kann.
„Hoffnung. Das ist es, was ich in ihren Bildern sehe. Besonders in dem Bild mit dem Boot vom Neusiedler See“. Diesen Satz hörte ich von einer älteren Frau. Unscheinbar und still wirkte sie zuerst. Ich wollte gerade die Säulenhalle des Rathauses verlassen. Die „interaktive Führung“ war offiziell vorbei. … Einige ganz spontane BesucherInnen, FreundInnen und Wegbegleiterinnen waren vorbeigekommen. Wir hatten philosophiert und uns ausgetauscht über das MENSCHSEIN. Immer wieder konnten wir staunen, was die Bilder der Ausstellung bei einem jeden Betrachter an unterschiedlichen Assoziationen und Geschichten ans Licht brachten. Wir teilten Momente davon und… ich kann sagen: schon danach wäre ich selbst sehr „bereichert“ nach Hause gegangen.

Impression des Friedenskunst-Projekts von Claudia Henzler zum „MENSCHSEIN“ nach Srebrenica im Sommer 2015 in und um Salzburg.
Das Kunstprojekt (engl „Human Being. Being Human“ ist dem MENSCHSEIN in Frieden gewidmet. Mit Vielfalt im Blick. In Verbundenheit. In Wertschätzung. Miteinander.
Gerade als ich den Ort der Ausstellung verlassen wollte, gab ich mir einen Ruck. Da stand sie in einer Ecke. Eine unscheinbare kleinere Person mit weißen Haaren. Ich ging auf sie zu. Bemerkte, sie hat ein Hörgerät. Oder so was ähnliches. Ein Teil ging auch direkt in ihren Kopf hinein. So etwas hatte ich davor noch nicht gesehen. Ich sprach sie an.
Die ältere Frau erzählte „ich war schon mal da. Bin wiedergekommen. Denn ich wollte hier in das Gästebuch was reinschreiben. Von Ellie Wiesel.“ Sie holte ein Buch heraus mit dem Titel „Hoffnung“. Und bevor ich ihre Zeilen las, nahm ich mir Zeit, sie anzuschauen. Einfach mit ihr zu sprechen.
Die Uhr hörte auf zu ticken. Ich fragte Sie, welches Bild sie von der Ausstellung besonders anspricht. Da meinte sie „das vom Neusiedlersee“. Schon allein, wie sie es sagte, merkte ich, da ist noch was. Kein Bild hatte ich direkt in der Ausstellung beschriftet. Absichtlich. Denn jeder Betrachter darf denken und spüren, was in ihm ist, ohne dass er „meine Geschichte“ unbedingt wissen muss. In einem Folder steht für die Gäste der Ausstellung, die es wirklich wissen wollen dann auch Titel, Ort und etwas zu jedem Bild. Diese Frau hatte sich also offensichtlich die Zeit genommen, dieses Heft zu lesen.
„Das Bild mit dem Neusiedlersee?“, fragte ich die Dame. Sie hielt einen Moment inne und meinte dann „na, alle Bilder sind besonders… Aber das mit dem See ganz besonders. Ich kenne die Frau, deren 15 Jähriger Sohn gerade erst vor ein paar Monaten dort beim Segeln umkam. Es war Sturmwarnung angesagt. Und der Vater ist mit dem Sohn doch noch mal rausgefahren. Der Vater überlebte. Der Sohn starb.“
In den Augen der älteren Frau schimmerten Tränen, als sie davon erzählte…. Ich schaute sie an, fühlte mit. War sprachlos. Wieder eine Dimension und eine gewaltige persönliche Geschichte mehr, die sich durch diese Begegnung anhand meines Bildes auftat…. Und ich dachte schon „na, dass dieses Bild am Neusiedlersee entstanden ist, ist wahrscheinlilch nicht sehr interessant. Eher der Symbolcharakter… das Licht in der Finsternis“… oder… na für mich bedeutet es zum Beispiel „die Ruhe nach dem Sturm“ oder es ist ein Erinnerungsbild, dass ich die Kontrolle abgeben kann, mich hingeben kann, mich Gott anvertraue, trotz all meiner Zweifel, die oft so endlos scheinen wie ein endlos schwares Meer“… Und plötzlich steht diese Frau da und erzählt mir die Geschichte vom Neusiedlersee… und nicht irgendeine Geschichte, sondern sie kannte genau diese Familie… mit dem Kind, das ertrank… „Hoffnung in der Finsternis“… so heisst das Bild… und ich selbst könnte Tränen weinen… Ja habe Tränen geweint, über diese Imensität, die in dem Bild mitschwingt. Durch die Imensität der Begegnung von Mensch zu Mensch. So wie sie durch die Ausstellung ermöglicht wurde… und wie sie passieren kann, wenn man einfach noch einen extra Schritt auf andere zugeht. Auch auf Menschen, die einem gerade noch fremd waren. Was für ein Universum sich da auftun kann.
Die ältere Frau und ich, wir schauten uns an. Schwiegen. Dann fragte ich sie zu ihrem Hörgerät. Sie erzählte „bis ich 28 Jahre alt war, hatte ich das absolute Gehör. Dann wurde ich zum ersten Mal schwanger. Und ich habe eine seltene Krankheit bekommen. Das Gehör ging mir verloren. In Räumen wie diesen (die gewölbte Säulenhalle), da hallt es so sehr, dass ich öfter das Gerät abschalten muss. Zu Vorträgen kann ich nicht, da ist der Geräuschpegel viel zu laut.
Ich schaute sie mit großen Augen zuhörend an „wie geht es Ihnen damit, gewöhnt man sich daran, kann man sich damit abfinden?“. Die ältere Frau meinte „meistens geht es, am schwierigsten ist es in der Familie. Da bin ich „out“. Ich kann uns soll zuhören. Es ist nicht leicht.“
Ihre Augen wurden wässerig. Sie schaute sich in der Ausstellung um und blickte auf das Bild mit dem Relief aus Kambodsch. „Genau… schlafende Gottheit. Ich frag mich auch oft „Gott, sag mal, schläfst Du, Du schläfst schon viel zu lange. Wann wachst Du denn mal wieder auf???“

Kambodschas Angkor gilt als ein eines der Weltwunder.
Noch heute schlägt Ankor Wat und die umliegenden Tempel und Heiligen Stätten Touristen aller Nationen in Bann. Buddhismus und Hinduismus finden in einzigartigen Steinmetzarbeiten ihren Ausdruck. Dschungelartigel Bäume und Schlingpflanzen verleihen den Stätten bis heute einen ganz eigenen mystischen Reiz. Foto copyright by Claudia Henzler. All rights reserved.
MEHR ALS NUR EIN COMIC
Mein Herz pochte ziemlich. Ich fühlte mit ihr. Ich konnte ihr zunicken. Das frage ich mich auch oft, ob Gott wohl schläft und wieso es soviel Leid gibt… und wie das mit einem „all-liebenden Gottesbild“ zusammen passt. Und dann erinnerte ich mich an an Facebook-Comic. Ich erzählte der älteren Dame davon „in Facebook sah ich neulich ein Comic. Das sah so aus. Da saßen zwei Männer auf einer Bank. Der eine war ein Mensch wie Du und ich, der andere war Jesus. Sie unterhielten sich. Der Mann fragte Jesus „Hey, Jesus, wieso lässt Du all dieses Leid auf der Welt zu????“ und Jesus schaute den Mann mit großen Augen an und sagte „ich wollte Dich gerade das gleiche fragen“.
Also als Tröstung ist das Comic in so einem Moment, wo ich dieser älteren Frau gegenüber stehe, natürlich ziemlich mager. Und ich hätte gern eine viel bessere Tröstung – für sie und für mich selbst, die ich oft so sehr zweifle. Dennoch: irgendwie sehe ich auch was passendes in der Antwort, die Jesus in dem Comic gibt. Wieso soll eigentlich Gott an allem schuld sein, was nicht gescheit läuft? Wieso brauchen wir immer einen Sündenbock? Wieso können wir nicht selbst auch was beitragen zu einem Leben, was lebenswert ist?
Ich glaube genau das ist, was ich mit meiner Ausstellung möchte… das MENSCHSEIN thematisieren. Also echt mit allen Facetten. Mit dem Lächeln, wie wir es einige Minuten zuvor in der Ausstellung festgehalten haben… Das Lächeln, das Freude ins Leben bringt… und zum MENSCHSEIN gehört natürlich auch die andere Seite… die Trauer, die Schuldgefühle – wie vielleicht die des Vaters, der doch nochmal mit seinem Sohn raus auf den Neusiedlersee fahren wollte, und der die Sturmwarnung nicht beachtete… vielleicht sehnte er sich nur nach Abenteuer, wollte sich am Leben fühlen, wollte seinem Sohn zeigen, dass er ein mutiger Vater ist… oder einer, der seinem Sohn was ganz tolles gönnen wollte… was für Schuldgefühle diesen Vater wohl plagen, der seinen Sohn am Neusiedler See verlor?!… MENSCHSEIN auch die ältere Dame… die mit 28 Ihr „absolutes Gehör“ verlor… durch eine seltene Krankheit… und die jetzt schaut, wie sie damit zurecht kommt… die extra zweimal in die Ausstellung kam… um noch einen Text in mein Gästebuch zu schreiben… einen Text, der – was mich erschütterte, das Wort VERZWEIFLUNG immer aufs Neue wiederholte… und an deren Ende „HOFFNUNG“ stand… so, wie es für mich mein „Boot-Bild“ vom Neusiedlersee in „rabenschwarzer Nacht und totaler Finsternis“ ausdrückt, in die plötzlich ein Strahl des Lichts, ein Strahl der Hoffnung, vielleicht auch ein Strahl der Liebe und Präsenz Gottes, hineinfällt… Ein Bild der Ausstellung, was schon zuvor eins meiner für mich wichtigsten Bilder war. Jetzt ist es noch mehr eine „Ikone“ – ein Bildnis, das den Charakter besitzt von einem „Fenster zu einer anderen Wirklichkeit“… Mystik des Alltags – ermöglicht durch eine kleine Begegnung. … Und das ist jeden Moment möglich. Wenn wir es zulassen. Wenn wir hinschauen. Wenn wir uns drauf einlassen. Auch auf das, was uns fremd ist. Das, was wir noch nicht kennen…
MENSCHSEIN. Ein Geschenk.
... von wegen „Bettler“ – die Begegnung mit Tibor
Ich verlasse die Ausstellung mit einem vollen Herzen. Reich beschenkt durch den Austauch, der durch die interaktive Führung geschah. Und durch die Begegnung mit der besonderen alten Frau…. Und aus dem Rathaus heraustretend viel mein Blick auf den Mann, denn ich schon öfter bemerkt hatte. Wir nickten einander wieder freundlic zu. Ich wollte fast schon um die Ecke biegen. Hielt inne. Ging statt dessen zu ihm. Ich beugte mich nieder. Denn er saß auf dem Boden. Sozusagen einer, den ich in Gedanken in die Kategorie „Penner“ geben würde oder „Bettler, Sandler“ und wie man sie noch in Österreich nennen mag. Jedenfalls ging ich also zu diesem Mann mit den groben Bartstoppeln und dem leichten Lächeln im Gesicht. Sein Hund saß mit treuem Blick vor ihm. „wie heisst denn der Hund?“ war mein erster Eisbrecher.
„Sunny“ meinte der Mann vom Boden zu mir aufblickend. Ich begab mich in die Knie. Ich wollte nicht so von „oben herab“ blicken. Wir begegneten uns auf Augenhöhe. Kamen ins Gespräch. „ich bin Claudia und Sie?“… „Ich bin Tibor, ich komme aus der Slowakei“… „ah, Bratislawa hab ich viermal besucht“, erzählte ich ihm, um zu sehen, wo wir eine Gemeinsamkeit hatten.. und ich erwähnte, dass ich aus Deutschland kam… auch eine Gemeinsamkeit, … selbst wenn ich mich nicht mit dem Begriff „Migrantin“ assoziieren, ist es doch so, dass wir beide aus anderen Ländern kommen und jetzt in Österreich sind. Ich fragte Tibor, wie es ihm geht. In gebrochenem Deutsch erzählte er mir ein wenig seiner Geschichte. … „So la geht es.“… dann sagte er „beim Fernsehen, Schlaganfall. Bypass. 2 mal Operation. Alles aufgeschlitzt. Schlecht. Frau zu Hause. Wenig Geld. 150 Euro pro Monat. Reicht nicht.“ … Er öffnete sein Hemd und zeigte auf eine riesige Narbe, direkt am Brustkorb… Er hob sein Hosenbein und zeigte auf sein rechtes Bein – bis untenhin ging die Narbe. Wie in zwei Stücke geteilt und wieder zusammengeflickt, so sah die Narbe aus, die – für meine Augen – recht frisch aussah. Puh. Ein „Penner“? … Er schaute Fernsehn. Und eines Tages, ganz plötzlich: Schlaganfall. OP. Und das Leben ändert sich. Schlag auf Schlag. Und jetzt sitzt er da, mit seinem Hund, den er „Sunny“ nennt. Seinen „Sonnenschein“. … Hoffnung in der Finsternis. Ein Lichtstrahl.
MENSCHSEIN. Vielfalt im Blick.
Jeder Mensch. Eine Geschichte. Jeder Mensch. Ein Universum. Jedes Leben: lebenswert.
Ich bin sehr glücklich und immens bewegt, dass ich durch die Fotografie – wie ich heute merke – doch etwas bewegen kann. Und das, fängt bei mir an. Ich bin dankbar für Gott – an dem ich in dieser Sekunde – nicht zweifle. Und ich bin dankbar, dass er mir ein Herz geschenkt hat, das mitfühlen kann… Leid und Freude. Schatten und Licht. Lächeln und Tränen… und Hoffnung in der Finsternis. DANKE für jeden einzelnen Atemzug, den ich lebe und für jede menschliche Begegnung – von Herz zu Herz. Das alles und noch viel mehr bedeutet für mich „MENSCHSEIN“.
INTERAKTIVE FÜHRUNG
Die nächste interaktive Führung durch die Ausstellung findet am Freitag, 14.8. um 10 Uhr statt.
Herzliche Einladung & völlig kostenfrei 🙂
Fotos & Text: Claudia Henzler
ART for PEACE
MENSCHSEIN. Human Being. Being Human.
www.henzlerworks.com/srebrenica
Danke Claudia! Und Hoffnung war genau das Gefühl, das das Neusiedlersee-Bild auch bei mir geweckt hat!
Danke, liebe Claudia für die offene und zugleich berührenden Führung zu Deiner großartigen Ausstellung 😊!
Love is rejoicing in the visions and life of others………such a bond it creates!
beautiful picture:) beautiful ladies!;)
Herzliche Einladung – erneut – gern auch zur Weiterleitung & Bekanntmachung.
INTERAKTIVE FÜHRUNG durch die Fotoausstellung „MENSCHSEIN“ von und mit Claudia HenzlerDonnerstag, 13.8. um 14.00h Freitag, 14.8. um 10 Uhr
Rathaus, Säulenhalle, Kranzlmarkt 1/Getreidegasse, 5020 Salzburg. Kostenfrei.
Details: https://www.henzlerworks.com/srebrenica