White Paradise.
Flüchtlinge überall. Auf Facebook bekomme ich kaum noch andere Nachrichten als die von Flüchtlingen, mit Videos, mit Bildern, mal „pro“ mal „anti“. Selbst meine normalerweise „völlig unpolitische“ Mutter hat bei ihrem Besuch von fast nichts anderem geredet.
Junge Männer, die es aus Afghanistan nach Europa schafften. Am Salzburger Bahnhof auf Zwischenstation. Nach ein paar Stunden intensiven Gesprächs, stimmten sie dem Fotografieren zu.
Bis gestern geisterten sie mir durch den Kopf, sogar zuletzt sogar durch meine Träume. Ich selbst halte mich normalerweise für „total tolerant„. Und ich war erstaunt und eher bestürzt über mich selbst, zu sehen, was für einen Einfluss auch die Negativ-Propaganda auf mich hat.
Das will ich mir aber von meinem Gehirn nicht gefallen lassen. Ich will nicht einfach „Sklave“ von irgendwelchen Vorurteilen und Gerüchten werden.
Der Satz der Salzburger Medienfrau Anna Schiester blieb mir im Kopf „raus aus der Comfort Zone„. Das sagte sie bei einem Abend, wo wir uns trafen, um darüber zu sprechen, wie wir Hilfe leisten können, in dieser Situation.
Gestern am frühen nachmittag bin ich dann erstmals zum Salzburger Bahnhof. Gelesen habe ich darüber schon genug. Fast stündlich bekam ich die letzten Tag Nachrichten. Unter anderem von Medienverteiler des Landes Salzburg.
Ein Teil von mir wollte und will sich noch immer von meinem Salzburger-Friedenskunst-Projekt „Menschsein“ erholen, was ich bis in den Sommer hinein auf die Beine stellte. Und ein anderer Teil in mir meinte „Claudia, Du musst los, Du hast eine Verantwortung, nimm sie an“.
Gegen 14.30 Uhr kam ich als am Salzburger Bahnhof an. Stimmt, es waren nicht mehr solche Massen da, wie noch wenige Stunden zuvor. Dennoch war mir erstmal komisch, als ich vom Hintereingang in die Bahnhofshalle ging. Am liebsten wäre ich umgekehrt. Mein Magen hat rumort. Ich habe mich irgendwie zurück nach Hause gewünscht. Oder einfach weg. Was ich sah, war ein verändertes Bahnhofsbild – der Bahnhof war natürlich der gleiche. Doch die Menschen sahen anders aus. In meiner Wahrnehmung sah ich kaum „weiße“ bzw. Europäisch anmutende Gesichter. Dafür viele, die aussahen, als kämen sie aus Syrien, Afghanistan, Afrika,… Ich fühlte mich erstmal fremd auf „eigenem Boden“. Eigentlich wollte ich auf die Leute zugehen. Denn ihre Geschichten interessieren mich.
Ein Teil von mir wollte gleich los fotografieren. Aber der weitaus größere Teil hat es nicht geschafft oder nicht gemacht. Wie auch immer. Ich bin durch den Bahnhof gegangen. Dann raus zum McDonalds. Stand drinnen in der Schlange und fragte mich, was ich eigentlich dort will. Bin ohne was zu kaufen wieder raus. Bin ins „Forum“ rein. Die Einkaufspassage ging ich einmal langsam – sehr langsam – auf und ab. Und dann habe ich gedacht „Claudia, mir reichts mit Dir. Wieso bist Du so ein Schisser? Komm, geh ganz ruhig raus und bewege Deinen Hintern in den Bahnhof. Wird schon nichts passieren.“
Da habe ich mich erstmal an einen Bistro-Tisch gesetzt. 2 Minuten später war ein Kellner da „was kann ich bringen?“. Ich fragte „kann ich nur ganz kurz hier sitzen?“. Er nickte. Erstmal wollte ich mein klopfendes Herz beruhigen. Irgendwie habe ich mich zittrig gefühlt. Ich dachte: „Claudia, Du musst ja nichts überstürzen. Schau es Dir alles an. Und dann finde den Mut und sprich jemanden an.“
Nach wahrscheinlich 20 Minuten kam der Kelner erneut „und, was wollen Sie nun trinken?“ … Ich hatte verstanden, das war das Zeichen. Die Zeit war gekommen. Die Schonfrist war um. Ich musste raus. Raus aus meiner „Comfort Zone“.
Langsam bin ich wieder tiefer in die Bahnhofshalle rein. Vorbei an Asiatischen und arabischen und afrikanischen Gesichtern.
An der Rolltreppe zum Bahngleich 4 Standen einige Polizisten. Ich machte einen Moment Halt. Und plötzlich wurde ich angesprochen. Das Schicksal meinte es gut mit mir. Ich brauchte also nur halb so viel Mut. Denn vor mir stand ein junger Mann. Der fragte „Alemania?“ Er wollte wissen, wie weit es zur deutschen Grenze sei. „ca 7 Kilometer“ sagte ich ihm. Dann wäre die Unterhaltung eigentlich zu Ende gewesen. Doch da endlich schaffte ich es. Mein innerer Schweinehund musste schweigen. Jetzt fragte ich den Jugendlichen „hast Du etwas Zeit?…“
„Magst Du mir von Deiner Geschichte erzählen?“ … Er nickte.
Aus Afghanistan kommender Mann. Am Salzburger Hauptbahnhof 2015. © Claudia Henzler | henzlerworks.com
Wenig später saß ich mit ihm in einer Bahnhofsecke am Boden. Zuerst saßen wir da zu zweit, dann zu dritt, dann zu fünft. Dann kamen und gingen weitere Leute. Als ich ihn fragte, ob ich fotografieren oder filmen dürfe, meinte er „nein“. Als ich nach seinem Namen fragte schüttelte er den Kopf. Ich verstand. Oder anders gesagt, eigentlich verstand ich kaum was. Komisch, dass ich immer wieder den Wunsch habe gleich zu sagen „ich verstehe“. Dabei bin ich ja selbst noch nie geflohen. … Na gut, jedenfalls habe ich die Kamera nicht benutzt, obwohl mir aufgefallen ist, wie schön, besonders und ausdruckstark viele der Menschen aussahen. Mitschreiben durfte ich. Geht ja auch ohne Namen.
Ich nenne ihn Ali. Am Boden sitzend, rutschten die Flüchtlinge immer näher um mich herum. Manchmal war es mir fast ein bischen zu eng. Aber irgendwie wuchs dadurch auch die Nähe und das Gefühl des einander „Fremdseins“ lies rasch nach und wandelte sich in echtes Interesse.
Ali sprach am besten Englisch. Von ihm erfuhr ich einige Details.
Alle um ihn rum sind aus Afghanistan. Er selbst floh aus Kabul. Er ist ein „Hazara“. Bis dahin hatte ich davon noch nicht gehört. Er erklärte mir, dass es die Hazara, die Puaschtunen und die Tadschiken in Afghanistan gäbe. Ich reimte mir zusammen, dass es Ethnien sind. Google-te das später und stopfte mal wieder eine kleine Lücke meines „Nichtwissens“. Jedenfalls verstehen sich die Hazara mit den Paschtunen normalerweise nicht. Er meinte, einer in der sitzenden Runde sei ein Champion. Im Kickboxen (ich nenne ihn Achmed). Achmed hat also kürzlich einen Kickbox-Championship gewonnen. Gegen Paschtunen. Die sagten ihm vor dem Kampf „Du musst verlieren, sonst bringen wir Dich um“. Aber er gewann. Und dann war er sich seines Lebens nicht mehr sicher und ist geflohen. Achmeds war 1 Monat unterwegs, seit er von Afghanistan weg ist. Ali lächelte, bei ihm ging es etwas schneller, ca. 24 Tage.
„Wieviel hat es gekostet hierher zu kommen?“ fragte ich. Ali meinte 3-5.000 Euro. Aber er sagte, er habe nur so knapp 3000,- bezahlt.
Der Dialog dauerte fast drei Stunden an. Mit der Zeit erzählten er und seine Freunde immer mehr von sich. Manche waren zusammen geflohen. Andere allein.
Ein paar der Fetzen, die aus dem Dialog sehr in meinem Kopf sind, kommen nachfolgend:
„Das Schlimmste war, als wir in der Türkei waren. Die waren nicht nett zu uns. Und die Fahrt nach Griechenland war schlimm. Gefährlich auf dem Boot. Mitten im Meer ist unser Benzin ausgegangen. Und dann kam ein anderes Boot und die haben uns Benzin verkauft. Aber zuerst wollten sie 1000,- Euro dafür. Soviel hatten wir gar nicht. Wir haben es schließlich für 200,- Euro bekommen. Zum Glück haben wir es geschafft. … Aber auch ins Boot zu kommen war nicht leicht. Es saßen schon ein paar Afghanen im Boot. Aber die Syrer sind viel mehr. Sie haben einfach gesagt „raus, raus, raus“ und Afghanen wurden aus dem Boot geworfen. … Einmal haben wir uns auch mit den Syrern geschlagen. Wieso reisen sie weg von zu Hause? Sie sollen ihr Land verteidigen gegen „Daesch“ (IS-Terror).“
Afghane am Salzburger Hauptbahnhof 2015. © Claudia Henzler | henzlerworks.com
Ein Flüchtling meint: „ich bin Afghane aber ich bin schon in einem Refugee Camp in Iran geboren. Aus dem Camp darf man nicht raus. Mütter und Kinder sind drin. Die dürfen höchstens 20 Mal im Jahr raus. Und die Väter müssen arbeiten und kommen nur 1-2 mal pro Monat ins Camp. Das ist nicht schön. Wir haben kaum Rechte im Iran… Vor einem Jahr habe ich angefangen „Tourist Management“ in Iran zu studieren. Ich habe es als einer der ganz wenigen aus dem Camp geschafft. Aber weil ich Afghane bin, darf ich nicht arbeiten. Keine gute Arbeit. Aber wie soll ich denn dann studieren? Dazu braucht man Geld und mein Vater ist ein einfacher Arbeiter. Und ich will studieren. Ich will nicht nur arbeiten…. Dann bin ich schließlich geflohen. Meine Eltern sagten „Du schaffst es“, alle anderen sagten „Du schaffst es nicht“. Aber jetzt, jetzt bin ich hier!“ Seine Augen funkeln, als er das sagt. Und ein Lächeln spricht aus dem jungen Gesicht, das ein wenig von den Strapazen der langen Flucht zeigt, aber mehr noch die Zuversicht widerspiegelt, die ihn am Leben erhält. … Er will weiter nach Schweden. Oder Finnland. Arbeiten. Und studieren. Unbedingt. Das Unmögliche möglich machen. Er weiss. Es geht.
—
Claudia Henzler verwendet Fotografie und Kunst als Hilfsmittel für
Begegnung und Kommunikation.
HENZLERWORKS photos with a message
www.henzlerworks.com